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Ecuador – Wendepunkt am Äquator

Auf dem spanischen Festland in die Pedale tretend, schwelgte ich noch in den Gedanken, wie ich nach Südamerika komme. Mit dem Segelboot? – relativ schwierig, da sich in Nordbrasilien der Passatwind aufteilt. Und Brasilien? – nein, gerade eben beginne ich erst Spanisch zu verstehen, da wird mich das Portugisisch in Brasilien sicher verwirren. Meine Arbeitskollegin, Andrea, in Fuerteventura auf den Kanaren bei der Kiteschule Redshark erzählte mir Geschichten aus Kuba, da sie dort aufgewachsen ist und der Gedanke durch Kuba, das vielleicht letzte sozialistische Land, zu fahren war geboren. Offene, interessante, kommunikative Menschen, die mit einem Minimum auskommen und denen man improvisationstechnisch nicht „das Wasser“ reicht, lernte ich von Havana bis Santiago de Cuba zumeist in den Dörfern kennen. In Mexiko tat sich dann nochmals die Möglichkeit auf in einer Kiteschule zu arbeiten, da auf dem Weg durch Zentral- nach Südamerika wahrscheinlich nichts mehr, auf einfache Weise, zu finden gewesen wäre um für die Weiterreise Geld auf die Seite zu legen. Die Zeit in der Kiteschule „Ikarus“ war geprägt durch eine wahnsinnig geile Gruppe. Jeder war wichtig und keine Charaktere überschnitten sich. Auf der Landkarte sah es nicht so weit aus von Mexiko/Cancun nach Südamerika zu gelangen – doch es war weit. Durch Südmexikos‘ Yucatan immer herzlichst willkommen, die Ruinen der Mayakultur besuchend fand das Zelt neben Kirchen oftmals seinen Platz. Durch das bergige Guatemala auf indigenen Märkten und auf spuckende Vulkane blickend. Durch das heisse El Salvador, die katholischen Zeremonien um das Osterwochenende mit beschmückten Strassenteppichen aus Blumen beiwohnend und dahinfliessend in der Hitze das Trinkwasser verschlungen. Stetig begleitet von wenig freundlichen Gringo-Rufen. Die Eier werden mit der Schrotflinte bewacht und die Strassenstände an der Ecke sind oft mein zu Hause um neue Kraft zu tanken. So günstig und gut konnte ich selbst nicht kochen! Die Kilometer pruzeln dahin, doch die Hitze und Luftfeuchtigkeit zehren an der Substanz. Trockene, lange Geraden in Honduras und Nicaragua. Jeden Tag neue Menschen treffend, neue Eindrücke sammelnd, neue Landschaften erblickend und in die Pedale tretend während die Muskulatur und die Lunge volle Arbeit leisten. Überraschend schöne Städte erwarten mich in Nicaragua und einige Tage fahre ich gemeinsam mit dem Radreisenden Bart aus Belgien. Interessante Kontakte im Süden Costa Ricas verschaffen eine zweiwöchige willkommene Radlpause, die Zeit geben die Wellen und die beeindruckend lebhafte und intakte Naturwelt zu erleben. Das Zelt stelle ich hier oft auf und koche wieder selbst. In Panama schlafe ich regelmässig bei Feuerwehrstationen und durch das Land des Panamakanals bis in die Haupstadt treffe ich viele freundlichen Menschen. In Panama City angekommen trifft mich mit voller Wucht das Leben in Mitten von Wolkenkratzern und die Abgase von nicht vorankommenden Verkehrsstaus. Durch einen Randbezirk der Hauptstadt hinausfahrend, passiere ich den Panamakanal mit den riesigen Containerschiffen gross wie Fussballfelder und fahre in einem Tag von der Pazifik- zur Atlantikseite bis nach Colon um dort ein Segelboot nach Südamerika zu finden. Die Stimmung in Colon ist angespannt und ein Boot ist nicht in Sicht. Die Polizei eskortiert mich zu einem sicheren Platz für das Zelt. Einen Radtag weiter Richtung Süden finde ich in der nächsten Hafenstadt Portobelo eine Mitfahrgelegenheit bei einer verrückten Crew auf einem Segelboot, das ich eigentlich nicht mehr betreten wollte (Gibraltar – Kanaren !!!). Wir überqueren das karibische Meer durch das Archipel der San Blas Inseln Fisch fangend, und ich komme nun endlich in Südamerika an – nach fast zwei Jahren. Zuerst die Sprache lernend, den Weg fahrend und sich an das Reisen mit dem Fahrrad gewöhnt, komme ich nun in Kolumbien an und es fühlt sich gut an. An kleinen Dörfern, die abgeschnitten sind vom Strassennetz sind, hangelt sich das Motorboot entlang. Im nordkolumbianischen Turbo rollt das Rad wieder nach anfänglichen körperlichen Anlaufschwierigkeiten und es überrollt mich die Gastfreundschaft in Kolumbien. Wenige Reisetage von der karibischen Küste entfernt wird es steigungsreich und die Anden beginnen, das Rückgrat Südamerikas. An Wasserfällen vorbei und dicht bewaldeten Gegenden, an den Bergkämmen einsame Holzhäuser stehend, sich über der Wolkendecke mit dem Fahrrad befindend, radle ich zu einer Wohngemeinschaft nach Medellin der ehemaligen Heimat von Pablo Escobar. Vom weltgrössten Kokainexporteuer bekomme ich nichts mit, ausser das ich einige „Körner“ lasse durch das heisse und bergige Kolumbien. Doch jetzt bin ich in Südamerika, dort wo ich immer hin wollte – zu Hause vor den Reiseführer sitzend und träumend. Doch vom Reiseführerbuch habe ich mich schon lange getrennt, die Menschen erzählen mir in den täglichen Gesprächen, was sehenswert ist. So lernt man von jedem neues Vokabular und das Spanisch verbessert sich. Mittlerweile reise ich mehr nach dem Gefühl und folge dem Instinkt. In Südkolumbien wohne ich Zeremonien von Schamanen bei und merke wie ausgelaugt ich in Wirklichkeit bin. Sich in einer anderen Kultur befindend, fremd zu sein, körperlich und geistig ausgelaugt und weiterhin neue Eindrücke durch die indigene Zeremonien zu sammeln, sehnen sich nach Orientierung. Nach drei Woche fahre ich mit dem Rad weiter. Es regnet und windet stark und in den Höhen der Anden wird es kalt. In Ecuador komme ich in der kleinen Stadt San Antonio de Ibarra an, dem Zentrum der Holzhandwerkskunst und bin von den Skulpturen in der Werkstatt der Fuentes Brüder beeindruckt. „Hier bleibe ich, das möchte ich lernen“, sage ich zu mir und auch zum Besitzer. Ich geniesse es länger an einem Ort zu sein und bei der Familie von David und Irma ein stetiges zu Hause zu haben. Dafür, dass mir David in der Werkstatt das Schnitzen beibringt, trainiere ich anfangs seine junge Fussballmannschaft und helfe ihm auf seiner Finca, Bäume zu fällen, Zäune und Schweineställe zu bauen. Wochenlang betrete ich keinen Meter ausserhalb San Antonios. Doch dann kommt mich ein Stück Heimat besuchen, Christian, ein guter Freund. IMG_20171005_090404-800x600Zusammen erkunden wir Ecuador per Rad und überqueren den Äquator und lerne dabei, dass Osten ursprünglich Ursprung heisst, da dort die Sonne aufgeht und Süden rechtswärts heisst, da es rechts ist, wenn man Richtung Osten blickt. Frühere Karten waren demnach nicht genordet sondern geostet. Wir fahren über hohe Berge und fallen danach sprichwörtlich in das Amazonasbecken. Es ist schön mit Christian unterwegs zu sein und das Bisherige zu reflektieren. Es freut mich mit ihm die Reise zu teilen und was es heisst bzw. nach zu empfinden was es heisst mit dem Rad in einer fremden Kultur unterwegs zu sein. Zum Abschluss steigen wir zur Schneegrenze des Cotopaxis auf 5000m und schauen uns beim Weltmeisterqualifikationsspiel Ecuador gegen Argentinien an, wie schnell Messi wirklich ist. Vielen Dank, Christian.IMG_20171010_175634-800x600
Als ich in Südkolumbien merkte, dass sich die Zeit mit dem Fahrrad zum Ende neigt, traf dies etwa zum gleichen Zeitpunkt ein, als das neue Team für die Kiteschule in der Nähe von Cancun in Mexiko rekrutiert wurde. Gerne und erfreut erinnere ich mich an die ehemalige Zeit dorthin zurück. Im November soll es wieder los gehen und ich sagte zu. Auch mit dem Gedanken einer regelmässigen, verpflichtenden und verantwortlichen Tätigkeit nachzugehen, denn das hatte ich die letzten 8 Monate nicht. Die Reisekasse sollte auch aufgebessert werden. Ich war frei wie ein Vogel und rückblickend ist es interessant, was man mit seiner Freiheit macht.
Und heute bin ich beim Packen. Es soll mit dem Flieger nach Mexiko zurück gehen. Immer noch im Ausland, aber zumindest näher an der Heimat und kein Neuland. Ich sitze vor meinem Fahrrad und schaue es an. Fast drei Monate bin ich nun schon hier in Ecuador in San Antonio und ich frage mich: „Warum war ich die ganze Zeit hier, abgesehen von der Radreise mit Christian? Warum war ich nicht auf den Galapagos Inseln? Oder, warum will ich nicht weiterradeln? Jetzt bin ich doch hier in Südamerika. Nein, die Reise war nie eine Reise um Sehenswürdigkeiten wie z.B. Galapagos zu bewundern. Gut, wenn sie auf dem Weg lagen, dann sieht man sie sich natürlich an. Die Zeit in der Werkstatt war sehr wertvoll und ich möchte sie gegen nichts eintauschen. Viele interessante Gespräche haben wir geführt und ein Paar Schnitzkenntnisse konnte ich auch mitnehmen.IMG_20171024_080432-800x600 Und ganz so einfach ist es nicht nach so langer Zeit mit dem Rad, den Gedanken des Weiterfahrens bei Seite zu legen. Bei längerem Nachdenken und Nachfühlen, wird es aber klar, dass es reicht mit dem Fahrrad Neues zu erkunden und es ist Zeit sich der Heimat langsam aber sicher zu nähern. Beim Hinausfahren mit den Fahrrad aus San Antonio de Ibarra zwickte es mich nochmals links Richtung Peru abzubiegen. Doch der Lenker zog nach rechts Richtung Kolumbien und Bogotá, von wo der Flieger nach Mexiko geht. Das Zurückkommen braucht Zeit, genauso wie das sich Entfernen, geografisch wie gedanklich, Zeit benötigt hat.

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