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Ecuador – Holz ist Trumpf

Beim Öffnen der Türe tritt man in einen hohen zeitlosen Raum ein, atmet den Duft von Holz und bewundert die filigran geformten Skulpturen. Kurz darauf stehe ich an der Werkbank, halte Hammer und Stechbeitel in der Hand und versuche das Holz zu formen. Schon seit geraumer Zeit reizte mich es mehr über das Erstellen von Skulpturen aus Holz zu erfahren. David und Byron sitzen an ihrer Werkbank, geben ihrem Werkstück Ausdruck ihrer Vorstellungskraft und versinken im Rhythmus der Kreativität. Vor einigen Tagen klopfte ich an einigen Werkstatttüren in San Antonio im Norden Ecuadors, das bekannt als Zentrum der Holzhandwerkskunst in Südamerika ist, und bei den Brüdern Fuentes hatte es Platz an der Werkbank.IMG_20170812_151655-800x600 Sie erstellen abstrakte und religiöse Skulpturen, Möbel und gedrexelte Formen. In der Werkstatt herrscht eine angenehme Atmosphäre und man kann jeden der 7-köpfigen Mannschaft bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Es ist zweitrangig wie lange man für sein Werkstück benötigt. Qualität, Präzision  und Kreativität stehen im Vordergrund. Diese Philosophie spürt man in den Gesprächen und in dem Sein der Menschen. Ich war davon sofort beeindruckt und wusste, hier möchte ich einige Zeit verbringen.
Die Familie um David, dem Mitbesitzer der Werkstatt, bietet mir in ihrem Haus ein Zimmer an. Bei ihm, seiner Frau Irma und seiner Tochter Thea fühlt man sich schnell wohl und aufgenommen. Zusammen mit verwandten Familien wird am Wochenende Brot gebacken, gegessen oder ein Ausflug unternommen.IMG-20170813-WA0027-800x599 Es ist eine willkommene und notwendige Abwechslung sich nicht ständig orientieren zu müssen: wo ist der Weg, wie weit der nächste Ort, Essen, ein Schlafplatz, ein Platz zum Ausruhen, usw. Vielleicht war ich bis vor Kurzem dem Weg etwas verfallen. Denn das geografische Vorankommen stellt für mich nicht das ausschlaggebende Prädikat des Reisens dar. Viel wichtiger erscheint, was nimmt man mit vom Weg. In San Antonio habe ich oder hat mich etwas gefunden, vom dem ich gerne mehr lernen möchte: der kreative Umgang mit dem Material Holz.

Doch Ecuador begann bereits in Südkolumbien mit der Ankunft in Pasto. Nach einem langen Anstieg peilte ich in der Stadt Pasto die erstbeste Möglichkeit in Form einer Bäckerei an um etwas in den Magen zu bekommen. Dort wurde ich von einer Familie zum Kaffee und zum Plaudern eingeladen. Nach dem Gespräch kam die nächste Überraschung prompt: Natalia lädt mich in ihre Wohngemeinschaft ein, nachdem sie mein Fahrrad sah und im vorherigen Gespräch mitbekommen hatte, dass ich einen Schlafplatz suche. Natalia und ihre WG-Freunde sind selbst auch Radreisende. 20170807215936-800x600Zuerst erklären sie mir mehr über Kolumbien, über die verschiedenen Guerillagruppen, paramilitarische Gruppen und welche Gruppen oder Familien welche Teile des Landes beherrschen. Wenig später werde ich praktisch erfahren, was das heisst. Da ich Abstand von der Radreise brauchte fuhr ich mit dem Bus nach Mocoa und damit in Richtung Amazonas. Das Rad samt Ausrüstung blieb in Pasto in der WG zurück und ich reiste mit leichten Gepäck – wie angenehm. Nach kurzer Zeit gefiel mir es in Mocoa im Hostel „Haus am Fluss“ sehr gut, sodass ich länger bleiben wollte. Allerdings wurde die Wäsche knapp und ich orderte bei Natalia, Liliana und Ruben meine restlichen Klamotten in Pasto nach. In die Packtasche warfen sie ebenfalls mein GPS-Gerät mit hinein, wovon ich allerdings nichts mitbekam Tiefenentspannt nahm ich die zugesendete Tasche in Mocoa entgegen. Nach den zweiwöchigen Aufenthalt dort kam ich zurück nach Pasto und bereitete das Rad für die Weiterfahrt vor. Bei der Durchsicht der „sieben Sachen“ fehlte das GPS. Nachdem wir die vergangene Zeit und Geschehnisse mit den Detektivmützen rekapitulierten, müsste das GPS bei einem Bediensteten der Zustellfirma einen neuen Besitzer gefunden haben. Und jetzt wurde mir klar in welcher WG ich untergekommen bin!!! Ein gezielter Anruf genügte und die Maschinerie lief. Eine Maschinerie, die ein paralleles Rechtsystem zum staatlichen Justiz- und Polizeapparat darstellt. Da ich am darauffolgenden Tag weiterziehen wollte, wurde vereinbart, dass das GPS um 9 Uhr an der Haustür übergeben werden sollte. Ich konnte als Deutscher nicht so recht realisieren, was da gerade passiert und mir war etwas schleierhaft, wie das GPS wieder auftauchen sollte. Doch wie bereinbart um Punkt 9 Uhr brachten zwei relativ unkommunikative und weniger kompromissbereit wirkende Typen das GPS zur Haustür. Das Funktionieren dieses Parallelsystem einhergehend mit dem nicht Funktionieren des Polizeiapparats, mit dem die GPS-Suche relativ aussichtslos gewesen wäre, lässt mich besser verstehen, warum viele Kolumbianer Guerillastrukturen möchten, warum das Wort und Ehrlichkeit mehr zählen als ein Vertrag und warum es an Vertrauen in die Polizei fehlt.
IMG_20170728_111313-800x285Nun konnte ich mich also aufmachen nach einer längeren Fahrradabstinenz mit GPS-Gerät Richtung Ecuador. Zeitgleich sollte es die nächsten Tage Regen geben und ich trage seit den Radtagen in Europa wieder eine Jacke beim Radeln. Das Spektrum des Hohenprofils reicht von 1500 -3300m. In den Lagen bei über 3000m wird es dann schon frisch ums Höschen und die Klamottenpacktasche ist beinahe leer, da ich bei den Abfahrten fast alles anhabe was ich mitführe. Finger und Zehen werden bei den langen Abfahrten besonders kalt und ich erinnere mich an die Zeit der Stadionbesuche beim 1.FC Nürnberg und die Plastiktütentechnik zurück. Die Hände und Füsse in Plastik eingewickelt schützt vor der Kälte. Bei den Bergauffahrten herrschen dann umgedrehte Vorzeichen und ich trete in kurzer Hose schwitzend in die Pedale. An den Wendepunkten zwischen Anstieg und Abfahrt beim Tauschen des Outfits hat man dann Zeit die wünderschöne Berglandschaft mit den abgetrennten landwirtschaftlichen Feldern zu geniessen.
An der kolumbianischecuadorianischen Grenze herrscht grosser Andrang. Vorallem Venezulaner passieren die Grenze in grossen Schaaren. In Ecuador, so wie in El Salvador und Panama, regiert wieder der amerikanische Dollar als Währung, der um die Jahrtausendwende den Sucre ablöste. Steigungs und regenreich empfängt mich Ecuador. Gleich am ersten Tag bekomme ich eine am Strassenrand von Antonio eine Einladung. Er kurbelt die Scheibe seines Pickups herunter und teilt mir seine Adresse und Telefonnummer mit. Der Regen prasselt mit der Melodie seines Radios auf mein Notizbuch herab.

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