Die Nacht wird zum Tag. Blitze erhellen im Sekundentakt die dunkle Nacht und die Regentropfen prasseln unermüdlich nieder. Es ist das heftigste Gewitter seitdem Din und Mäd in Salobrena sind und das ist mittlerweile schon über zehn Jahre. Mehr als 40 Liter regnet es in der Stunde. Ich bekomme von diesen Erzählung herzlich wenig mit, denn mein Zimmer hat kein Fenster und die schlaflose Nacht, in der ich mir die verdorbenen Kichererbsen nochmal durch den Kopf gehen ließ, will in der Nacht des Unwetters aufgeholt werden. Am nächsten Morgen gehe ich mit Din das Grundstück und die Piste, die in die Stadt hinab führt, ab. Mit Schaufel und Pickel ebnen wir ausgeschwemmte Streckenteile, sodass der Weg für Fahrrad und Auto wieder passierbar wird. An den weit entfernten Gipfeln der Sierra Nevada hat sich das herabfallende Wasser in Form von Schnee auf über 3000m abgelegt. Die Temperatur ist spürbar gesunken, meine Kräfte sind dagegen fast wieder hergestellt, sodass ich gegen Mittag aufbrechen kann. Die Landschaft ist durch den starken Regen der letzten Tage sichtlich grüner geworden. Die Fahrt hinunter, von dem in den Bergen liegenden Anwesen, in die Stadt halten die Bremsen noch durch – und ich frage mich wie ich hier hoch gekommen bin? Teilweise werden die Bremsbeläge so warm, dass sie nicht mehr richtig blockieren, aber an ein Absteigen ist nicht zu denken, da die Reifen sonst keinen Druck mehr auf die Strecke durch mein Körpergewicht bekommen und ein Bremsen überhaupt nicht mehr möglich ist.
Ich komme zügig voran – mein Ziel Tarifa ist nicht mehr weit! Die Pause hat den Kräften gut getan. Nach fast 100km seit Mäd und Din habe ich die Ausläufer der Sierra Nevada hinter mir und das Geläuf ist plan. Malaga und vorallem Marbella durchquere ich mit einem Augenzwinkern. Im Hafen von Marbella (Puerto Banus) liegen hunderte Yachten. An der Strandpromande komme ich mir etwas exotisch vor, da hier normalerweise nur recht teure Autos unterwegs sind. Meine Gedanken hinsichtlich der Reiseplanung sind mir weit voraus. Nach der Zeit in Tarifa habe ich vor ein Segelboot auf die Kanaren zu finden. In Gibraltar sei dafür ein guter Platz. Allerdings habe ich wenig Informationen, wann, wie und wo man etwas genau findet. Doch bevor ich in Gibraltar ankomme, mache ich in Sotogrande Halt, da es schon später Nachmittag ist. Um den Hafen von Sotogrande befinden sich exquisite Häuser. Die Gartenanlagen sind gepflegt, Hecken und Rasen akurat geschnitten. Jedoch treffe ich auf mehr Garten- und Straßenpflegepersonal als auf Einheimische. Im Yachtclub von Sotogrande sitzen John, Gonzalo und James, die mir erklären, dass die Häuser hier nur im Juli und August als Feriendomizil hauptsächlich von Madrilenen angesteuert werden. James schlägt vor, nachdem ich Ihnen meine Reisepläne mitgeteilt habe, dass wir uns am nächsten Morgen in einem Cafe treffen. Dort macht er mich mit einem Schiffskapitän bekannt, der mir einige Hilfestellungen hinsichtlich der Bootssuche geben kann. Als ich Sotogrande verlasse, fahre ich durch eine Wohngebiet, das stark an Beverly Hills erinnert – palmengesäumte, breite Straßen; große Einfahrten zu mächtigen Grundstücken mit amerikanischen Baustil. Dazu fahren Lamborghinis durch die Straßen und der gut gewässerte Golfplatz ist nicht weit. Wenn man sich vorstellt, dass 20km südlich bereits Afrika beginnt, kommt einem diese Welt grotesk vor.
Nach Gibraltar ist es nur noch einen Steinwurf. Am Horizont taucht der bekannte Felsen, des britischen Gebiets auf. Mit über 60km/h geht es hinunter, erst durch die spanische Stadt La Linea und dann an den spanisch-britischen Grenzposten. Der Reisepass kommt zum ersten Mal zum Einsatz. Direkt nach der Grenze überqueren Autos, Radfahrer und Fußgänger eine etwa 400m breite, asphaltierte Straße. Nachdem ich mein Fahrrad in der Mitte des Übergangs dieser großräumigen Straße abstelle, werde ich von einem Wachmann schnell darauf aufmerksam gemacht, weiter zu gehen, da die Strecke, aus mangelnden Platzgründen, auch als Flugzeuglande und -startbahn genutzt wird! Englische Währung, Verkehrsschilder und Pubs, rote Busse und Telefonhäuschen, Jugendliche in Schuluniform – schon interessant hier was sich im Süden Spaniens abspielt. Ich steuere die beiden Häfen Queensway und Ocean Village an, die mir der Schiffskapitän aus Sotogrande empfohlen hat und hänge dort an die schwarzen Bretter Bewerbungsschreiben aus. Vielleicht benötigt ja jemand einen Mitsegler nach meiner Zeit in Tarifa! Die Angestellten im Hafen machen mir allerdings wenig Hoffnung. Durchweg höre ich, ich sei zu spät. Bei einem Snack am Peer treffe ich einen Segler, der mich auf einen weiteren Hafen in La Linea aufmerksam macht. Prompt treffe ich dort mehr Segler, die den Atlantik überqueren wollen. U.a. eine deutsche Familie mit zwei Kindern, die von Italien mit ihrem bereits 40 Jahre alten Boot gestartet ist. Sie nehmen am „Atlantic Rally for Cruisers“ (ARC) teil und ihr Ziel ist St. Lucia in der Karibik. Nach einigen Sätzen stellt sich heraus, dass Sandra meine fränkische Heimat aus ihrer Jugend kennt. Wir tauschen uns an Deck über die bevorstehenden Vorhaben aus und sie schlagen mir vor, mich mit nach Gran Canaria zu nehmen, das sie vor der Atlantiküberquerung anfahren wollen. Diese zwei Tagen hatten für mich viel Input, sodass ich etwas hin- und hergerissen bin, was zu tun ist. Schon am ersten Tag ein Boot gefunden zu haben, das mich mit all meinem Gerümpel mitnimmt ist etwas unwirklich. Von den Aussagen „ich sei zu spät dran“ versuche ich mich frei zu machen, denn Zeitknappheit und das Gefühl „rennen zu müssen“ ist einer der schlechtesten Ratgeber beim Reisen. Insofern schlage ich das Angebot der sehr netten Familie aus um erst mein eigentliches Ziel Tarifa zu erreichen und zu erleben. Wir kochen noch gemeinsam in ihrem gemütlichen Boot und verabschieden uns am Abend
Heute ist der Tag an dem ich Tarifa erreichen werde! Auf dem Weg dorthin passiere ich Algeciras und schöne Straßengraffiti. Die einzigste Straße nach Algeciras ist die Autobahn, die in diesem Fall aber auch von Fahrradfahrer benutzt werden darf. Die Steigungen vor Tarifa auf knapp 350m bereiten mir keine großen Schwierigkeiten, da das Ziel zum Greifen nah ist. Anders hat es entlang der Sierra Nevada ausgesehen: man überquert eine Steigung und danach erscheint die nächste… Der Zenit der Steigung ist erreicht. Ich schaue auf eine eine hügelige Landschaft. Der Himmel ist mit Wolken bedeckt. Der Rückenwind und die Bergabfahrt lassen alle Anstrengungen der letzten 10 Wochen und 3500km hinter mir.
Wind! Location Kitespot Balneario direkt in Tarifa. Wir sind zu zweit auf dem Wasser. Der ablandige Wind macht die kleinen Wellen langsam und die dazwischen liegenden Wellentäler glatt. Der Himmel ist blau und beinahe wolkenlos. Die Wellenlippe, also der oberste Punkt der Wellenspitze, wird vom ablandigen Wind abrasiert und es entsteht feines Spritzwasser, in dem sich ein Regenbogen bildet.
Tarifa – das Windmekka an der südlichen Spitze Spaniens. 14Km trennen Europa von Afrika durch die Straße von Gibraltar. Bei Nacht scheint es, als ob der afrikanische Kontinent ein Katzensprung sei. Hier möchte ich einen längeren Zwischenstop einlegen. Die ersten Tage sind hauptsächlich zur Orientierung da – die Stadt kennen zu lernen, Kontakte aufzubauen, eine Schlafmöglichkeit zu finden und ggf. eine Nebentätigkeit. Unterbrochen wird dies, da es am zweiten Tag ordentlichen Wind hat. Nach einer wohltuhenden Kitesession schießt ein anderer Kiter meinem Schirm ab und eine meiner Leinen reißt. Auf diese Weise lerne ich einige Kiteshops kennen und bekomme neue Leinen spendiert. Seit Kurzem habe ich mein Zelt gegen eine kleine Wohnung eingetauscht (Gracias a Martin S. !!), da es zu viel geregnet hatte. Mit dieser Basis hat sich in den letzten Tagen einiges verändert. Man ist nicht mehr mit all seinem „Sack und Pack“ unterwegs und kann einfach zu Fuß oder nur per Rad den interessanten Teil Tarifas, die alte Innenstadt, mit engen Gassen, vielen Cafes und alten Gebäuden erkunden. Das Rad wird hier erstmal einmal ruhen können.
Hier gehts zur Bildergalerie: https://windtramp.org/2015/11/01/bilder-spanien-tarifa-ole/
Eine Antwort auf „Spanien – Tarifa olé“
Hallo Oliver,Deine Berichte sind sehr informativ,auf den Fotos habe ich Dich auch wiedererkannt.
Hoffe,daß Du bald eine Mitfahrgelegenheit auf einem Schiff findest.Hier ist es viel zu warm für November 17Grad und Sonne pur. LG Lore
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