Alle Annehmlichkeiten los zu lassen, war nicht so einfach als ich dachte. Das Kiten stand in der Zeit in Tarifa im Vordergrund und es war schön zum Ausruhen, Kochen und Trocknen der Surfsachen ein Dach über dem Kopf gehabt zu haben. Mit jeder Tasche, die ich aus der Wohnung trage wird mir der Abschied mehr bewusst. Ich blicke aufs Meer. Die Wellen sind so glatt und gemächlich wie noch nie und brechen wunderschön. Als die Tür ins Schloss fällt, beginnt die Reise wieder. Ich werde in meinem Zelt schlafen, wo, das weiß ich jetzt noch nicht, aber das ich auch gut so. Als ich vor der Wohnung auf der Straße alles gepackt habe, zücke ich mein Büchlein zum Schreiben. Etwas, das ich seitdem ich die Wohnung hatte nicht tat. So etwas nennt man wahrscheinlich „Raum für etwas haben“.
Mein Ziel heißt La Linea de la Conception und Gibraltar bzw. die Häfen der beiden Städte, die als Zwischenstopps für viele Atlantiküberquerer dienen. Als ich in Tarifa war, habe ich viele Informationen und Ratschläge sammeln können, was bei der Suche eines Bootes zu beachten ist. U.a. von Suzanne aus Holland, die viele Tips auf einer Internetseite zusammengefasst hat (http://oceanxploration.com/personal-notes/atlantic-ocean-crossing-find-crew-spot-sailing-boat/). Die Überquerung der Berge nach La Linea und Gibraltar ist mein Körper nicht mehr gewohnt, sodass ich einige Pausen einlegen muss. Bei den kurzen Zwischenstopps schaue ich auf meinen Anhänger und frage mich: Wäre es nicht besser gewesen das Kiteequipment in Tarifa zurück gelassen zu haben? Werde ich mit so viel Gepäck ein Boot finden? Doch ich verdränge diese Fragen und strample weiter in die Durchgangsstadt Algeciras. Im „Plaza de Alta“ mache ich Mittagspause. Mir wird hier klar, dass sich die Art und Weise des Vorankommens bald ändern wird, wenn ich mit einem Segelboot reisen möchte. Bisher war ich weitestgehend selbst dafür verantwortlich wann und wie weit sich das Rad gedreht hat. Ab morgen bin ich auf Bootssuche und d.h., dass man nicht weiß wann ein Boot kommt und ob man fündig wird – eine ungewohnte Situation.
Wir nannten es „das Treffen“. Jeden Tag zur gleichen Zeit, etwa um 14Uhr, versammelten wir uns vor dem Büro des Hafens in La Linea, die spanische Grenzstadt zu Gibraltar. Wenn ich wir sage, dann meine ich damit alle, die auf der Suche nach einem Boot waren. Alle die ihren Traum von der Überfahrt in die Karibik oder Südamerika wahr machen wollten. Jeder von uns hatte bereits Bewerbungsschreiben an den Häfen und Kneipen von La Linea und Gibraltar ausgehängt. Das Feld war bestellt. Jetzt mussten nur noch die Früchte geerntet werden. Beim Warten wurden Reisegeschichten erzählt: wo man am besten Krokodile jagt, über die Gastfreundlichkeit Marokkos oder wie man von Ostrußland nach Spanien trampt… Über das Trampen konnten mir meine Compañeros viel erzählen, denn alle kamen per Anhalter, z.B. aus Belgien, Slowakei, Polen oder Ostrußland. Und als ich mich so umschaute, sah ich meine Felle ein wenig dahinschwimmen, da normalerweise auf einem Boot Platznot herrscht und mein Gepäck etwa das aller meiner Compañeros und der Bootsuchenden entsprach, die ich bis jetzt getroffen hatte. Ferner kamen Geschichten über blaue Kisten auf, die von Marokko nach Gibraltar geschmuggelt werden. Blaue Kisten, in denen Haschisch transportiert wird. Blaue Kisten, die von marokkanischen Schiffen über Board geworfen werden und dann am Strand von La Linea wieder gefunden werden wollen. Am Büro des Hafens, das alle ankommenden Boote passieren, wartend, malten wir uns die Geschichte aus, eine blaue Kiste zu finden und mit dem Geld dann ein Boot zu kaufen um damit gemeinsam den Atlantik zu überqueren. Diese Geschichte entstand auch deshalb, weil fast keine Boote in den Hafen kamen. Und wenn doch, dann nur Schulungsboote.
Man hält sich im Hafen auf um nach Booten Ausschau zu halten.Wenn man einen Tip von der Besitzerin des Hafencafes oder von der Rezeption des Hafens erhält, dass ein neues Segelboot eingetroffen ist oder vor Ort ankert, versucht man dieser Möglichkeit sofort nach zu kommen und fährt dort hin. Es entsteht ein Netzwerk von Kontakten und jeden Tag wird dieses größer. Parallel dazu sind ebenfalls Gedanken für eine Alternative da: nach Cadiz fahren um von dort eine Fähre auf die Kanaren zu nehmen, da sich dort im Moment mehr Boote aufhalten und sich auf den Weg in die Karibik vorbereiten. Oder doch nach Marokko und Mauretanien und auf dem Landweg Richtung Süden? – viele offene Möglichkeiten. Doch ich lerne, dass sich das Blatt hier schnell wenden kann und am nächsten Tag sieht Alles anders aus. Mittlerweile sind noch weitere Reisende in La Linea eingetroffen, sodass wir mittlerweile 14 Bootssuchende sind! Als ich mich am Morgen aufmache, fragt mich Ascha: „Was machst Du heute?“ Ein Boot und und Arbeit finden! Da ich nicht weiß wie lange die Bootssuche dauern wird, habe ich beschlossen parallel zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich natürlich noch nicht, dass ich am darauf folgenden Tag beides gefunden haben werde. Nachdem ich in Gibraltar einige Läden abgeklappert habe, mache ich mich Mittags daran einen kurzen CV zu verfassen. Danach will ich bei den Engländern Denise & Tefler vorbei sehen, die ich am Abend zuvor kennen gelernt habe um den Text Korrektur lesen zu lassen. Als ich auf dem Weg zu ihrem Boot bin, sehe ich am Peer ein Segelboot mit einer deutschen Flagge, das mir zuvor noch nicht aufgefallen war. Zufällig ist der Kapitän auch gerade auf dem Boot am werkeln. Ich habe ein gutes Gefühl – so, als ob man weiß, dass etwas Gutes passieren wird. Nach dem ersten Satz bittet mich Rainer direkt aufs Boot und wir unterhalten uns über die Hintergründe unserer Reisen, Segelerfahrungen und vieles mehr. Bevor wir uns für den nächsten Tag auf eine Tasse Kaffee verabreden, zeige ich Rainer noch den Haken an meiner Mitreise – mein Gepäck. „Das ist kein Problem“, sagt er, als wir vor meiner bepackten Kutsche stehen. Ich bin erleichtert. Das 12 Meter lange Boot bietet allerdings auch genügend Platz für zwei Personen, ein Fahrrad und Anhänger. Eine Bootssuche ist etwa so beschreiben: man klopft an der Haustüre von jemanden und fragt, ob man eine Weile hier wohnen könnte. Eine kritische Angelegenheit, weil man auf See diese Beziehung nicht einfach beenden kann. Außerdem ist es eher eine Annäherung beider Seiten bis man zu dem Entschluss kommt, dass es für eine Wohngemeinschaft passt. Bei Kaffee und Kuchen wird am nächsten Tag zügig über Dinge gesprochen, die vor der Abreise noch erledigt werden müssen und ich habe verstanden – Juhu ich habe ein Boot gefunden und kann es kaum fassen. Zwei Stellplätze im Hafen weiter ist ein Katamaran eingelaufen. Xander, ein belgischer Hitchhiker, hat dort Kontakt mit dem Kapitän aufgenommen, der noch ein Paar helfende Hände zum Polieren des Schiffes benötigt – Arbeit für drei Tage ;-)
Am Dienstag 24. November wird es losgehen. Die Wetterprognose scheint für die nächsten 7 Tage gut zu sein. So lange werden wir voraussichtlich benötigen um auf die Kanaren zu segeln. Ich bin gespannt und voller Vorfreude. Ich hoffe, ich werde nicht allzu stark seekrank werden. Abschied wird genommen. Abschied von all den Menschen im Hafen, die ich in der Zeit in La Linea und Gibraltar kennen gelernt habe und die mir eine große Hilfe bei der Suche nach einem Boot waren. Abschied vom spanischen Festland, dessen Menschen und deren Leben ich sehr schätze. Und Abschied von einem mal wieder verbreiteten Vorurteil, dass La Linea de la Conception, die gefährlichste Stadt Spaniens sei. Morgen werde ich die Nase in den Wind halten und die Freiheit und die Weiten des Atlantiks tief einatmen.
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