
Nun geht es los! Mit dem Sonnenaufgang heißt es: Leinen los und Fender einholen. Langsam tuckern wir aus dem Hafen heraus und ich schaue auf den Hafeneingang. Dort habe ich oftmals sehnsüchtig auf ein Schiff gewartet. Wir nehmen Kurs auf Gibraltar zum Volltanken des Bootes, da der Diesel dort nur die Hälfte kostet. Mit uns verlassen noch zwei weitere Boote das spanische Festland. Auch Xander´s Boot, auf dem wir drei Tage poliert haben, sticht in See. Rainer, mein Kapitän, drückt mir nachdem wir unseren kurzen Stop in Gibraltar hinter uns haben sofort das Steuer in die Hand. Die Vorfreude auf das Kommende steigt nochmals. Wir umkurven große, ankernde Frachter, die zwischen Gibraltar und Algeciras ausharren. In der Straße von Gibraltar ist viel Verkehr und wenig Wind, sodass wir auf den Motor angwiesen sind. Nachdem wir die Schifffahrtsstraße überquert hatten, schalten wir den Autopilot ein. Mir war nicht bewusst, dass so viel Komfort auf Segelbooten herrscht.
Nach einigen Stunden macht sich Hunger bemerkbar. Ein Hungergefühl, dass ich sieben Tage nicht mehr haben werde. Rainer macht Pizzabrote, die wir uns bei strahlendem Sonnenschein schmecken lassen. Da uns das nicht genügt, mache ich unter Deck die zweite Ration – ein folgenschweres Unterfangen, wie sich herausstellen wird. Nach kurzer Dauer fliegen die Pizzabrötchen über Board und die Seekrankheit mit oraler Diarrhö hat begonnen! Rainer rät mir an Deck zu bleiben, da ich hier den Horizont sehe und die Übelkeit erträglicher sein soll. Insgesamt verbringe ich 4 Tage und Nächte an Deck. Am zweiten Tag nehme ich Tabletten gegen die Seekrankheit ein, gegen die ich mich lange gewehrt habe. Diese verhelfen mir dazu, nicht mehr erbrechen zu müssen. Die Übelkeit und das Unwohlsein bleiben dennoch. Ich fühle mich von Tag zu Tag schwächer. Das Dasein besteht für mich auf dem Schiff hauptsächlich aus Liegen und Sitzen und der Kreislauf geht in den Keller. Die Imobilität bereitet mir zu schaffen. Insgesamt lege ich in den 7 Tagen schätzungsweise 150m zurück – der Weg zur Reling ist nicht weit.
Wir sind auf dem Atlantik angekommen. Die blauen Riesen rollen langsam heran. Die bis zu 4m hohen Wellen erscheinen einem aufgrund ihrer enormen Länge kleiner. Nichts desto trotz bringen sie das Boot mächtig zum Schauckeln. An Kochen ist nicht zu denken. Die Speisen bestehen aus Brot oder etwas Obst und Wasser. Das Element Wasser, das uns bekannt als Ursprung des Lebens ist, wird hier zur lebensfremden Umgebung. Wasser, Blau – so weit das Auge reicht. Ich liege in der Nacht an Deck und die Sterne strahlen mit ihrer ganzen Stärke. Hier auf dem Meer scheint die Lichtverschmutzung auszubleiben. Irgendwann in der Nacht befinden wir uns in einem Windloch und die Segel fangen an zu schlagen. Der Kapitän schläft. Ich hole die Segel ein, starte den Motor und setze den Kurs neu. Der Plan war, dass jeder von uns 4 Stunden Nachtwache hält, da viele Fischerboote entlang der marrokanischen Küste in der Nacht unterwegs sind. Aufgrund meiner Hochseeuntauglichkeit bringe ich in der Nacht kein Auge zu und komme die ersten 4 Nächte nur zum Ruhen und kann somit in dieser Zeit Ausschau nach Fischerbooten halten. Dafür werde ich von Rainer am Tag mit Essen versorgt, da für mich wie gesagt, das „unter Deck gehen“ ein No-go ist.
Seekrankheit ist furchtbar. Alles ist einem zu viel. Verlangen nach Essen und Trinken verspüre ich nicht. Man isst und trinkt auf Verdacht. Ich bin Rainer sehr dankbar, der mich immer wieder zum Essen motiviert. Sein Spruch: „Essen hält Leib und Seele zusammen“ bekommt für ich in diesen Tagen eine tiefere Bedeutung. Am 4. Tag geht es mir ein wenig besser. Es ist der Tag an dem ich meine letzte Tablette einnehme. Leider waren in der Packung nur vier. Ich hoffe, dass es besser wird. Am späten Nachmittag begleiten uns für eine Weile Delfine. Am nächsten Morgen besucht uns ein kleines Fischerboot und fragt nach Zigaretten. Es wird der einzige Austausch während der Überfahrt auf die Kanaren sein. Es ist Freitag und die Gespräche an Board nehmen ab. Zum einen, weil die Stimmung aufgrund der Windstille etwas am Boden ist und zum Anderen weil mir das Sprechen sehr schwer fällt. Ohne Tabletten sinkt mein Wohlbefinden. Ein kurzer Austausch wie lange es noch dauern wird, trifft mich wie ein Fausthieb – 2 ganze Tage Fahrt. Voraussichtlich Sonntag Abend oder Montag früh werden wir ankommen. Dieser Zeitraum erscheint für mich in diesem Moment als wahnsinnig lange – zu lange. Ich muss mich übergeben. Nein, nochmal 2 Nächte an Deck. Ich ergreife die Flucht nach vorne und gehe unter Deck und lege mich in die für mich eigentlich vorgesehene Kajüte. Wie angenehm endlich auf einem Bett liegen. Stundenlang starre ich auf die Decke und konzentriere mich auf mein Korpergefühl. Es scheint zu klappen: mein Zustand verschlechtert sich nicht und ich muss mich auch nicht Übergeben. Zudem bin ich aus dem Wind und der Sonne, die einem an Deck zusetzen.

Die weiteren 3 Tage bis zu unserer Ankunft lässt sich das Boot von Rainer immer wieder etwas Neues einfallen, damit uns nicht langweilig wird. Der Anlasser des Motors Bedarf Aufmerksamkeit, da er oftmals ausfällt. Außerdem ist die Antenne an der Spitze des Mastes gebrochen. Der Motor saugt manchmal, einen in den Dieselbehältern gefallenen Lappen an, und kommt zum Stillstand. Bei der Reparatur schwimmt zwischenzeitlich der Fußboden im Diesel. (@ Rainer: „Ohne Brille wäre das nicht passiert.“ 😉 ) In der Nacht kommt der ersehnte Wind und blässt fast zwei Tage durch. Liegt man unter Deck, fühlt es sich so an, als ob eine Hand das Boot immer wieder anschubst und uns neuen Vortrieb verschafft. An Schlaf ist nicht zu denken. Die Nacht brachte soviel Wind, dass das Segel gerissen ist. Wir müssen es einholen, damit es nicht noch mehr einreißt. Bis zur Ankunft fahren wir noch 24 Stunden mit dröhnendem Motor und Genua (Vorsegel). Endlich! Die Lichter Lanzarotes erscheinen am Horizont. Am ersten Hafen können wir leider nicht anlegen. Weitere zwei Stunden Fahrt bringen uns erhofftes Land und wir küssen den Boden. Seetrunken schwanke ich zur Dusche um neues Körpergefühl zu erlangen. Wir sind so froh angekommen zu sein und festen Boden unter den Füßen zu spüren. Rainer, der seit 3 Jahren im Mittelmeer unterwegs ist und seit 30 Jahren segelt, machte die Fahrt ebenfalls sehr zu schaffen. Er wurde auch seekrank.

Nach 7 Tagen und 1200km braucht es keine lange Reflexionsphase um zu sagen, dass ich nicht aus dem Seglerholz geschnitzt bin. Das meiste des Essens, das für die Überfahrt geplant war, wird im Hafen von Calero verspeist – Pizza, Schnitzel, Pfandkuchen… endlich wieder richtiges Essen und Hungergefühl. Bei einigen Reparaturarbeiten am Boot helfen wir zusammen. Die Akklimatisation an festes Geläuf benötigt ebenfalls Zeit. Die Schritte in den ersten Tage sind noch ein wenig wackelig, aber sicher genug um in den nächsten Tagen die Vulkaninsel Lanzarote zu erkunden.
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