Langsam hat sich für mich das Leben normalisiert. Ich nehme meine gewohnten Schlafplätze mit dem Bus ein, die Arbeit als Kitelehrer gewinnt immer mehr an Routine, man trifft sich regelmäßig mit Freunden und hat einen geregelten Tagesaublauf. Es ist ein schönes Gefühl angekommen zu sein und seinen Platz zu haben. Doch gleichzeitig merke ich in der letzten Zeit, dass mich etwas weiter schiebt. Zum Einen ist es wohl die örtliche Begrenztheit auf einer Insel. Der Norden Fuerteventuras ist relativ überschaubar. Eine handvoll Dörfer Reihen sich aneinander. Einen Ausflug in den eher touristischen Süden habe ich schon des Öfteren unternommen. Zum Anderen bin ich jetzt auch schon seit Dezember letzten Jahres hier.
Und genau in diesem Moment fällt mir wahrscheinlich die komplette Evolution auf die Füße.
Eine sichere Höhle, eine warme Feuerstelle, bekannte Jagdgründe – früher. Und heute sind wir wahrscheinlich nicht viel weiter…. Falls wir etwas ändern wollen sind es wahrscheinlich „genannte Sicherheiten“, die uns davor abhalten, Bekanntes aufzugeben und Neues zu suchen. Und Sicherheiten halten uns auch davor ab, vielleicht etwas zu finden, dass uns besser gefällt, uns mehr interessiert oder fasziniert. Damit meine ich nicht, dass wir uns ständig optimieren müssen bzw. nach dem Ground-hopping-Prinzip, so viel Länder wie möglich gesehen zu haben. Wenn ich glücklich an einem Ort bin und zufrieden sollte man dort bleiben und die „Sicherheiten“ genießen und schätzen, wenn nicht halten uns u.a. besagte Sicherheiten an dem Ort. Denn letztendlich sind es vielleicht kontrastreiche Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben, die wertvoller erscheinen als ein überhöhter, materieller, monatlicher Geldsegen im Greisenalter.
Um den Begriff Sicherheit etwas zu konkretisieren, fällt mir folgendes Beispiel ein. Hat man z.B. viel in seine berufliche Tätigkeit investiert, hält mich gesellschaftliche Druck und der ganze Weg, den man z.B. durch das Studium und Ausbildung, durch das Hocharbeiten im Beruf gegangen ist, bis man zur besagten Stelle kam, davon ab diesen aufzugeben. Doch, ist man dann nicht gefangen in seiner Position, wie in einem Pokerspiel, in dem man schon zu viel gesetzt hat um wieder auszusteigen?
Frei ist man letztendlich nur, wenn man den Weg wählen kann. Für mich heißt das, frei bin ich, wenn ich meinen Status aufgeben kann. Meinen Status hier oder meinen ehemaligen Status in Deutschland. Letztes Jahr habe ich meinen Beruf in Deutschland gekündigt. Nicht, dass er mir nicht gefallen hätte, ganz im Gegenteil. Ich merkte allerdings, dass ich im Moment etwas anderes will. Es hat mich viel Zeit gekostet mein Leben in Deutschland zurückzulassen. Und so fühlt es sich im Moment auch an, wenn ich daran denke die Zelte in Fuerteventura in drei Monaten abzubrechen.
Allerdings wird mir die Erfahrung „Zurücklassen und wieder etwas Neues finden“ helfen, wenn ich weiterziehe. Als ich vor fast 10 Jahren durch China gereist bin, trafen wir Straßenmaler, die mit Wasserfarbe Gemälde auf großen öffentlichen Plätzen erstellten. Am Ende des Tages wurden die Zeichnungen von den Künstlern wieder weggewischt. Mit dem Malen des Bildes erlange ich die Fähigkeit es tun nicht mit dem Konservieren oder Aufrechterhalten bzw. Stehen lassen des Bildes.
In der Kiteschule Redshark ist die Kitelehrermannschaft gewachsen. U.a. ist Borja zu uns gestoßen. Er arbeitete 7 Jahre auf den Kap Verden als Kiteinstructor. Er schwärmt mir von seiner ehemaligen Heimat vor: perfektes Klima, exzellente Wellen und Wind zum Wavekiten und ein sehr, sehr einfaches Leben. Da die Inselgruppe, die sich 1500km südlich von den Kanaren und etwa 500km westlich von Senegal befindet, auf meinen Weg nach Südamerika liegt, möchte ich dorthin gerne einen Abstecher machen. Sodass mein nächstes Ziel, wenn ich im Oktober Fuerteventura verlasse die Kap Verden sein werden. Zusammen mit Matchu Lopez, einer der besten Strapless Freestyle Kiter der Welt, waren wir die Tage in der Ramp unterwegs, da es wenig Wind und Wellen gab.
Wir haben neues Material in der Kiteschule bekommen. Da hat es nicht lange gedauert, dass ich mir einen der neuen Kites schnappen musste zum Probieren. Ich hatte noch nie einen komplett neuen Kite in der Hand. Das Knittern des Tuches und der Geruch des Kites – ich zelebrierte dieses Ereignis. Und das Ergebnis! Ich habe mich sofort verliebt und musste meiner Chefin sagen, dass ich diesen Kite nun keinen Kiteschüler mehr geben kann 😉 Gesagt getan, tauschte ich meinen älteren Kite gegen den Neuen ein. Doch noch etwas viel schöneres passierte in diesen Tagen am Strand. Es war wenig los auf dem Wasser. Der Tag neigte sich schon langsam dem Ende entgegen und die Sonne schenkte uns ihre letzten Strahlen. Es wurde Zeit die Kitesession zu beenden. Ich bat einen der wenigen Kiter am Strand mir beim Landen zu helfen. Wir kamen in ein nettes Gespräch und Inaki sagte mir, dass er erst seit kurzer Zeit auf der
Insel sei. Daraufhin erzählte ich ihm auch meinen Weg auf die Insel und er erwiderte verdutzt: „Letztes Jahr habe ich auch einen Deutschen getroffen mit seinem Fahrrad plus Anhänger an der Mittelmeerküste in Benicassim.“ Darauf brach ein langandauerndes Lachen aus mit verwunderten Augen. Wie klein ist die Welt! Jetzt konnten wir uns beide wieder erinnern. Ich fragte ihn und seine Freundin zu jener Zeit nach dem Weg und der Windvorhersage. Das Gespräch dauerte vielleicht ein paar Minuten. Ich hoffe wir sehen uns demnächst öfters Inaki!
Hier gehts zu weiteren Bildern: https://windtramp.org/2016/07/07/kanaren-bilder-loslassen-sicherheit-gewohnheit/
2 Antworten auf „Kanaren – Loslassen, Sicherheit, Gewohnheit“
Schöne Geschichte Oliver.
Grüße Martin
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Hallo Oliver, sieht so aus als würde die Reise doch etwas länger werden. Deine Schüler müssen wohl noch lange auf dich warten.
Lore und Rolf
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