Ein ohrenbetäubender Lärm setzt das eiserne Monstrum in Gang, das schwarze Wolken in den blauen, wolkenlosen Himmel ausstößt. Der Fahrtwind bläst Dreck und Staub aus der offenen Wagontür. Die Wucht des Zuges schlägt überstehende Äste und Blätter ab. Ich sitze im Gepäckwagon mit dem Rad. Ich hatte keine Lust die gleiche Strecke von Guane nach Pinar del Rio wieder zurück zu radeln. So machte ich eine 50 Kilometer lange Zugerfahrung in Kuba. Ich bin tief in Westkuba und mein Ziel heißt Santiago de Cuba, das weit im Osten liegt. Beim Hinausradeln aus Pinar del Rio empfange ich ein herrliches Geschenk, das zwei Tage lang andauern soll – Gegenwind aus Nordost. Es ist die Windsaison, die in diesen Monaten in der Karibik beginnt. Schöner, stetiger Nordostwind wunderbar zum Kiten oder um am Abend nach einem Radeltag schön einzuschlafen. In der Nähe von Batabano, einem kleinen Dorf, liege ich bereits im Halbschlaf im Zelt und nehme zwei sich auf mich zu bewegende Gestalten mit Taschenlampen wahr, die mir nicht antworten wollen. Es sind zwei Bauern, die um meine Sicherheit besorgt sind. Hier sei es nicht sicher zu schlafen, sind sich Beide einig und in Absprache mit dem Gemeindechef kann ich bei „Chino“ schlafen. Er hält zwei Drähte zusammen, es sprazelt, der Strahler erleuchtet und die Drähte kleben zusammen. Chino zeigt mir den Zeltplatz auf seinen Grundstück und lädt mich obendrein zum Abendessen in sein Haus ein. Vielen Dank für die kubanische Gastfreundlichkeit, die ich nicht das letzte Mal erfahren durfte.
An diesem Tag kreuze ich die Höhenlinie von Havana wieder. Nur das ich nun etwa 60 Kilometer südlicher bin. Es ziehen staatliche Hühner- und Schweinezuchtbetriebe und Bewässerungsanlagen für Bananenfelder vorbei. Anscheinend wird hier für die populationsreiche Hauptstadt produziert. Außerdem kreuze ich viele Dieselkraftwerke zur Stromerzeugung (>90% der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen!!). Des Weiteren treffe ich auf einen Militärübungsplatz. Es stehen museumsreife Panzer auf dem Feld und antiquitäre, militärische Transportfahrzeuge deren letzter Einsatz lange zurückliegen dürfte. Gerade wird auf der Anlage etwas verbrannt. Drei Personen in grünen Militäranzügen sitzen auf dem Rasen im Schatten und wirken tiefenentspannt.

In den Dörfern, in den ich Rast mache entwickeln sich schnell Unterhaltungen. Ich beginne langsam kritische Fragen an die Bevölkerung zu stellen, da sich viele Gesprächsthemen auf das nicht ausreichende Einkommen richten und auf der anderen Seite Smartphones und neue Fernseher in den Dörfern zu sehen sind. Die Phrasen, die in den Dorfeingängen und an Staatsbetrieben gezeichnet (Die Einheit des Volkes führt uns zum Erfolg. Wir kämpfen zusammen, wir siegen zusammen, 26. Juli Sieg der Ideen, Vaterland oder Tod – wir werden siegen, Der Sozialismus und das Volk führen zum Sieg) sind allesamt vom Staat erstellt. Ich hatte mich schon länger gewundert, wer diese Sätze erstellt hat, da die bunten Farben der Schriftzüge in keinem Geschäft zu kaufen waren. Die Menschen gehen mit meinen Fragen sehr offen um.
Was ist übrig vom Sozialismus im Jahr 2016 in Kuba? Eine Hülse deren Inhalt vor über 50 Jahren abgefeuert wurde. Der Einkaufsladen des Sozialismus ist leer. Das Lager ist ausgeräumt. Lediglich im Schaufenster schwebt schwerer Zigarrenrauch von den glimmenden Stumpen. Rumflaschen und Bilder von Che Guevara und Fidel Castro mit Gewehr in martialischer Pose liegen daneben. Ein Sieg der Ideen lese ich oft war die treibende Kraft bei der Einführung des Sozialismus in den 60er Jahren. Welche Ideen sind davon übrig geblieben? Fidels´ Traum von der Gleichheit aller Kubaner ist gescheitert. Eine Zweiklassengesellschaft ist längst Realität. In Kuba verläuft eine unsichtbare Grenze, die den Sozialismus vom Kapitlismus trennt. Bevölkerungsschichten, die nicht auf Geldsendungen aus den USA zurückgreifen oder vom Tourismus profitieren, können sich viele Waren des täglichen Bedarfs, die über die Konsumgüter der Lebensmittelkarten hinausgehen nicht leisten (ökonomische Apartheid). Die staatliche Nahrungszuteilungen und das Gehalt reichen für das Monat nicht aus. Der Zukauf von weiteren Lebensmittel muss deshalb hart verdient werden. Die Menschen eröffnen einen kleinen Kiosk, verkaufen Kaffee aus dem Fenster, bieten einen Rikshatransport an, Verkaufen Snacks in öffentlichen Parks oder Internetkarten. Manuel kann von seinen Möglichkeiten wenig profitieren. Er ist Schachlehrer und bezieht sein staatliches Gehalt. Es fehlen ihm die Mittel einen Schachtisch und ein Gewerbe anzumelden um dann auf Touristen zu warten oder zahlende Kunden. Deshalb kann er die Linie vom Sozialismus zum Kapitalismus nicht überschreiten. Er wird für zwei Jahre nach Venezuela gehen. Beim Staat hat er sich für das Programm angemeldet. Mehr als 9 von 10 Kubanern würden ihr Land lieber gestern als heute verlassen haben. Maneul ist mittlerweile 50 Jahre. Wenn er in zwei Jahren zurückkommt, möchte er mit dem Geld sein Haus renovieren, dass immer noch Schäden vom letzten Hurrikan (2002) hat und eine Schachschule eröffnen.

In Torriente bekam ich letzte Nacht keine Genehmigung neben der Kirche zu schlafen. Dafür gaben mir die staatlichen Gemüsebauern neben ihren Treibhäusern einen Platz für das Zelt. Da die staatlichen Betriebe in der Nacht immer durch einen Aufseher bewacht werden, lässt es sich entspannt schlafen. Heute werde ich Kurs auf die Schweinebucht nehmen. 1961 versuchten in jener Bucht die Amerikaner mit einer Truppe von 1300 Exilkubanern das Castro Regiment zu stürtzen. Auf dem Weg durch dieses Sumpfgebiet mit unzähligen Libellen, lese ich wieder die Phrasen „26. Juli – Sieg der Ideen“. Und ich frage mich was bedeutet dieser Satz heute? Das Volk hat keine Möglichkeit Ideen einzubringen oder geschweige denn etwaige zu diskutieren. Es besteht kein Forum und Alvaro, der eine Art Gemeinderatsmitglied inne hat, teilt mir mit, dass man sofort eingesperrt werden würde bei dem Versuch ein Netzwerk zu bilden bzw. eine Art Versammlung einzuberufen oder offiziell Kritik zu äußern. Es gibt nur die Einheitspartei PCC (Partido Comunista de Cuba), andere sind nicht zugelassen. Die Ideen sehe ich in der Improvisationskunst der Menschen, die Traktoren, Reifen, Fahrräder, Häuser, Liegen, Rollstühle, Busse, Schuhe,.. mit geringsten Mittel reparieren. Alles was nicht funktioniert wird repariert und all das was nicht repariert werden kann frisst der Rost, der Geier oder das Hausschwein auf.
In Cienfuegos raste ich zwei Nächte, tanke neue Energie und wechsle die Kette nach 1000 Radkilometern. Im Morgengrauen, als der Dunst noch über den Zuckerrohrfeldern schwebte und die Umrisse der weit entfernten Berge verschleierte, breche ich auf. Es befindet sich auch in kleinen Dörfern stets eine Schule. Vor Schulbeginn wird auf dem Gelände die kubanische Flagge gehisst, während das Schulpersonal und Schülerinnen und Schüler in Reihe und Glied stehen.Nach einem Umweg, der durch einen starken Regenschauer führt, komme ich durchnässt in Jatibonico an und klopfe an der Haustür von Geraldo, der, so wie mir die Dorfbewohner mitteilten, ein Zimmer zu vermieten hat. Etwas mürrisch öffnet er die Türe und zeigt mir die Räumlichkeiten. „Du kannst später hochkommen in den 1.Stock, dann essen wir zusammen“, ruft er mir beim hinausgehen aus dem Zimmer noch zu. Beim Essen teilt er mir mit, dass heute seine Frau an den Folgen eines Hirnturmors verstorben sei und hängt zugleich an, aber das Leben muss weitergehen. Bis spät am Abend unterhalten wir uns über Kuba und ich merke, dass ihm diese Abwechslung gut tut. Beim Frühstück vergessen wir ebenfalls die Zeit und es ist bereits zu spät um weiter zu fahren. So bleibe ich noch eine weitere Nacht. Es wäre schön, wenn wir uns wiedersehen und du dich einmal im Schnee baden kannst 😉
Die Vegetation ändert sich durch das Zentrum des Landes recht wenig. Auf der Careterra Central herrscht reger Verkehr. Die vorbeifahrenden Lkw´s erzeugen einen derartigen Fahrtwind, dass es mir ständig die Mütze vom Kopf weht. Ich muss regelmäßig den Kopf einziehen und wie durch eine Welle hindurchtauchen um nicht ständig auf Mützensuche am Straßenrand zu sein. Es geht immer weiter Richtung Osten. Zwischen Las Tunas und Bayamo lässt der Verkehr stark nach und ich fühle das erste Mal einen Hauch von Einsamkeit in Kuba, da sich keine hohe Vegetation neben der Straße befindet und die niedrige Graslandschaft das Auge weit sehen lässt. In Bayamo bietet am Wochenende das Kulturhaus Zeichenkurse für Kinder an. So sieht man einige Gruppen zeichnend am Gehsteig sitzen. Ein Weg seine Kreativität im didaktorischen System zu entfalten. Zugleich muss man sich vor Augen halten, dass jedes Schild oder öffentliche Aufschrift bzw. das komplette öffentliche Bild vom Staat authorisiert und zensiert wird.
Ich wache auf der Rasenfläche neben dem staatlichen Motel am Morgen auf. Der Nebel hängt noch über den Bäumen auf und ich habe überhaupt keine Lust mich auf das Fahrrad zu setzen. In der Küche des Motels füllt die nette Kellnerin meine Trinkflaschen mit Wasser. Doch ich kann es kaum trinken, so gräslich schmeckt das Wasser. Es hilft alles nichts und ich setze mich aufs Rad um die letzen Kilometer nach Santiago de Kuba zu radeln. Dorthin wo Bacardi in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen weltberühmten Rum herstellte. Bei jedem Tritt in das Pedal fühlt sich die Beinmuskulatur leer an und die kurze Erholungspause bis zur nächsten Belastung reicht nicht aus. Irgendwie komme ich vorwärts. Doch ich sehne mich sehr nach einer Pause. Nach Ruhe und raus aus der ständigen Aufmerksamkeit, aus der man sich als Fahrradtourist schwer entziehen kann, weil man ständig im öffentlichen Raum unterwegs ist. In Kuba bist Du nie allein! Halte ich in einem Dorf bei einer Sitzmöglichkeit um Pause zu machen, dauert es nicht lange und es füllen sich die Ränge und begutachten das Rad oder mich. Das ist schön, denn so beginnt oftmals ein Gespräch oder ein Kontakt. Aber manchmal ist es auch anstrengend, wenn man nach über 100 Kilometer im Schweiß gebadet nach ruhigen 5 Minuten zum Ausruhen im Schatten sucht. Ich besuche die Cobre kurz vor Santiago de Kuba. Die schönste Kirche in Kuba. Im Mai 2015 schaute Papst Franziskus vorbei. Endlich Santiago de Cuba ist nicht mehr weit. Ich peile direkt das Zentrum an um nach etwas Eßbaren zu suchen und werde in einer kleinen Nebenstraße fündig. Dort verkauf „La China“ ihr Essen direkt aus der Küche, hinter der sie ein Zimmer frei hat, das sie mir für die nächsten Tag überlässt. Endlich eine Siesta im Schatten zur Mittagszeit in einem Bett – welch ein Luxus! Und nach 1600 Kilometern, nach der Durchquerung Kubas von Westen nach Osten ist die Fahrradreise in Kuba beendet.
Was ich mitnehme sind zugängliche, gastfreundliche und hilfsbereite Menschen, die Interesse am Austausch haben. Hauptsächlich dort, wo der Tourismus noch keine allzu große Spuren hinterlassen hat. Menschen, die sich durch Menschlichkeit auszeichnen. Bei denen man sich innerhalb von kürzester Zeit aufgenommen und zu Hause fühlt. Menschen, die einem das wenige was sie besitzen zur Verfügung stellen und einen Platz zum Schlafen oder für das Zelt gewähren.
Der Weg wird mich in den nächsten Tagen aller Voraussicht nach mit dem Flugzeug nach Mexiko führen, da es weder eine Fährlinie gibt noch ist es privaten Segelbooten gestattet in einem kubanischen Hafen anzulegen.
hier gehts zur aktuellen Route: https://windtrampdotorg.wordpress.com/route/?preview=true
hier gehts zur Bildergalerie: https://windtramp.org/2016/10/30/kuba-bilder-fidels-vermaechtnis/
Eine Antwort auf „Kuba – Fidels´ Vermächtnis“
Hallo Oliver,Deine Reiseberichte sind sehr interessant.Ich bewundere Dich,wie Du sprachlich und gesundheitlich diese Reise mit dem Fahrrad schaffst.Weiterhin alles Gute! Lore
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