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Guatemala und El Salvador – aus Alt mach Neu

P1030747-800x600Der Staub fliegt durch die Luft, aufgewirbelt vom Vorschlaghammer, der die Erde in alten und verschliessenen Autoreifen verdichtet um daraus Ebene für Ebene eine Hauswand zu errichten. Sich überlappende, aufgeschnitte Plastikflaschen dienen als Ziegelersatz auf den Dächern. Mit Glasflaschen werden Dachgewölbe mit kreativen Mustern und Formen gestaltet. Willkommen im Projekt „Long Way Home“ in San Juan de Comalapa in Guatemala (www.lwhome.org). Matt kam 2002 mit der Vision Bildung, Arbeitstellen und Umweltbewusstsein miteinander zu vereinen nach Guatemala. Die Konstruktionsweise der Autoreifenhäuser stammt von M. Reynolds aus Amerika, der in den 70er Jahren damit began Autoreifen, Erdreich und kluge Ideen verwendete um damit klimatische angepasste Häuser zu errichten (earthships.com). Hier wurde sich insbesondere auf die Erdbebensicherheit der Häuser konzentriert. Adam, der Chefkonstrukteur, leitet den Bau und bringt eine Menge Erfahrung mit und lernt die einzelnen Arbeiter an. Bis heute wurden Schulgebäude für insgesamt 120 Schüler errichtet. Um den Müll als Baumaterial verwenden zu können, bedarf es allerdings an jede Menge an Beton und Eisen. Die fertigen Häuser zeichnen sich durch ein sehr angenehmes Raumklima aus. In der runden Innengeometrie sucht das Auge vergeblich nach Winkeln und Kanten. Die Reifenwände werden mit einem Gemisch aus Erde, Wasser, Kies, Lehm und Kuhmist in mehreren Schichten verkleidet. Zwei Wochen mit 20 Guatemaltesern auf der Baustelle waren eine sehr lehrreiche und interessante Zeit.

P1030904-800x600Darüber hinaus durfte ich kurze Zeit dem Unterrichtsgeschehen beiwohnen. Besonders in den Grundschulklassen herrscht reges Treiben. Die Lehrerin investiert viel Zeit und Energie um Ordnung und Disziplin einzuführen. „Aber ich kann es den Kindern auch nicht übel nehmen“, sagt sie mir, da die meisten einfach nach Aufmerksamkeit lechzen. Bei Familien mit zehn und mehr Kindern und die damit verbundenen Gewohnheiten und Abläufen ist das verständlich. Bei den älteren Schülern (ab 12 Jahren) sehe ich viele Präsentationen vor der Klasse. Der Lehrplan richtet sich nach staatlichen Vorgaben. Bei einem Blick auf den Stundenplan, sieht man das breit angelegte Lerngebiet (Musik, Ernährung, Heimatkunde, Zeichnen, Geschichte, Naturkunde, Mathematik, Sport, …). Das Schulgeld beträgt pro Monat umgerechnet 3 Euro. Alternativ können die Eltern der Schulkinder 3 mit Plastikmüll vollgestopfte Plastikflaschen abgeben, die für den weiteren Bau verwendet werden. Mit Müll, der sonst verbrannt oder unkontrolliert in der Natur landen würde, wird Bildung finanziert.

P1030920-800x600Mit dem Fahrrad bewege ich mich nicht ausgiebig in diesen Tagen. Etwa 30km weiter treffe ich auf Maya Pedal (www.mayapedal.org). Um die Jahrtausendwende begann Mario auf der Basis von alten Fahrrädern mechanische Antriebe für die unterschiedlichsten Anwendungen zu basteln. Alles was sich dreht, lässt sich letztendlich an das Fahrrad anpassen. So werden Wasserpumpen, Waschmaschinen, Mixer, Maiswolf (Vgl. Fleischwolf) und Stromgeneratoren, die mit dem Fahrrad angetrieben werden für die lokale Bevölkerung und für entlegene Gebiete ohne Stromanschluss erstellt. Die „bicimaquinas“ (Fahrradmaschinen) beruhren auf simpler und einfach zu reparierender Technik, keinen laufenden Kosten, einen gesundheitlichen Fokus aufgrund der erforderlichen Muskelkraft und die Verwertung von alten Fahrrädern. Nachhaltigkeit wird groß geschrieben bei Maya Pedal, da man auf unserem Planeten zu viele Ressourcen verbraucht. Freiwillige Helfer sind bei Mario und seinem Team immer herzlichen Willkommen und erhalten ein eigenes Zimmer neben dem Werkstattbereich. Danke für die schöne Woche an Dana, Oscar und Mario.

P1030977-800x600Im Umkreis von Maya Pedal tummeln sich zahlreiche Vulkane, von denen drei (Acatenango, Fuego und Agua) besonders herausragen. Bei einer 2-tägigen Tour lässt sich das Vulkangebiet erkunden. Am ersten Tag erreichen wir ein Basecamp auf 3500m auf dem Vulkan Acatenango. Von dort hat man eine herrliche Sicht auf den aktiven Vulkan Fuego, sofern es nicht wie in unserem Fall bis zum Sonnenuntergang bewölkt ist. Mit dem Sonnenuntergang verzieht sich das Weiße vom Himmel und der Vulkan spuckt im halbstündigen Takt rotleuchtende Lava in den schwarzen Himmel. Es hat ebenfalls Vollmond und sein Licht scheint auf die geschlossene Wolkendecke, die unter einem liegt und in der Ferne spitzt der Vulkan Agua (Wasser genannt, aufgrund seiner Inaktivität) heraus. Nach einer kurzen Nacht erklimmt man die letzten Höhenmeter bis zum 3980m hohen Gipfel. Bevor die Sonne erscheint, bedeckt ein wachsendes, goldendes Band den Horizont und kühle Luft durchtströmt die Lungen. Tief im Tal erkennt man die Dörfer und Städte anhand der Lichter und der Nebel zieht seinen Mantel sanft über die Bergkämme. Diese Zeit kurz vor dem Sonnenaufgang gefällt mir sehr und ich frage mich, ob dieses wunderschöne Schauspiel wirklich jeden Tag stattfindet?

P1040080-800x600Es wird Zeit Meter zu machen. Unerwartet geht es bis zur Grenze nach El Salvador stetig den Berg hinunter und eben dahin. Es wachsen wieder Palmen am Straßenrand. Zeitgleich wird es enorm heiß. Über die Osterfeiertage durchquere ich fast ganz El Salvador und der Verkehr ist an der Küstenstraße daher angenehm dezent. Vor der Grenze wurde ich noch gewarnt, „pass auf, dass sie Dich nicht überfallen.“ Es kommt allerdings ganz anders: die Menschen im dicht besiedelsten Land Zentralamerika versprühen eine ansteckende Lebensfreude. Am Wegesrand werden Mangos, Kokosnüsse, Bananen und eine neue lieb gewonnene Frucht namens Mamei mit einem Lächeln und guter Laune angeboten, sowie Leguane und frisch gefangene Krebse von den Mangrovenwäldern.

P1040071-800x600Der Klang der maisfladenklatschenden Hände schalt durch den Holzbau des Imbissstandes. Der Maisteig wird geknetet und es wird Wasser hinzu gegeben. Stück für Stück wird eine kleine Menge entnommen und platt geklatscht und danach auf eine vom Feuer erhitzte runde Metallplatte gelegt. Im Hintergrund läuft schnulzige Popmusik. Ein Getränkelieferant karrt Trinkbares in der stehenden Hitze heran. Vormittags um 10Uhr habe ich bereits 4 Liter Flüssigkeit intus. Langsam gewöhnt sich der Körper in El Salvador an das tägliche Schweißbad. Begleitet vom einem bewaffneten Wachmann wird der Getränkelastwagen entladen. Sah man in Guatemala vereinzelt Wachmänner vor Geschäften stehen, so ist die Waffenpräsenz in El Salvador um ein Vielfaches höher.

P1040100-800x600Auf die Straße fallen reife Mangos herab und mächtige Bäume mit massiven Stämmen und weit gefächerten Baumkronen begleiten die asphaltierte Strecke alleeartig. In der Ferne über der grünen Palmen, dem Zuckerrohr und der hohen Sträuchervegetation glaubt man einen schmalen, blauen Streifen zu erkennen. Lange Zeit führt die Straße in El Salvador parallel zur Küstenlinie mit einem Sicherheitsabstand von einigen Kilometer mit allerdings annähernder Tendenz. Irgendwann verliere ich den Gedanken, während ich mir die Müdigkeit aus den Beinen zu radeln versuche. Und auf einmal erscheint er neben mir. Zeitgleich höre und sehe ich ihn – den Pazifik. Tiefblau mit einer kleinen Welle, die so schön dahinbrechen. Durch ein Anwesen hindurch erhasche ich den glücklichen unerwarteten Blick. Noch nie hatte ich den Pazifik zu Augen bekommen. Die Größe des Meeres lässt mich immer wieder erstaunen und die Kräfte und Größenverhältnisse in der Beziehung Mensch und Natur werden wieder zurecht gerückt.

P1040173-800x600Es knallen Billiardkugeln in einem dunklen Raum. In der heißen Nachmittagssonne in San Miguel in El Salvador liegen Zwiebeln in durchsichtigen Plastiksäcken gehortet, deren Wurzeln den hohen Temperaturen nichts entgegenzusetzen haben und schlaf danieder liegen. Nicht abreisende Verkehrsschlangen pressen sich durch das enge Straßennetz der quirrligen Innenstadt. Manchmal geht es im Schritttempo, oftmals auch im Galop voran. Der Wind spielt mit den schattenspendenen Plastikplanen und den daran befestigten, trockenen Holzpfeilern. In einer Ecke liegen aufgestapelte Gehäuse von Röhrenfernsehern aus Plastik. Im Park wird Dame auf bröckelnden Palisaden mit Flaschenkapseln im Schatten gespielt. Wenn man durch den zentralen Markt läuft, hört man die lautstarken Gemüse- und Obsthändler rufen. Dazwischen tummeln sich im Menschendickicht sitzende Fisch- und Taschenverkäufer. Biegt man scharf rechts ab und verlässt den hohen Dezibelbereich, trifft man auf engere Gassen. Blumen werden dort gehandelt. Mit jedem Schritt verhallen die Stimmen bis man die Ventilatoren rauschen und seinen eigenen Schritt hört – so als wäre man in eine andere Welt gesprungen. Die Düfte wandeln durch die Gänge und es ist eine andere Sprache, die ohne Schall auskommt. An einem schmalen Eingangsflur zum stummen Blumenlabyrinth sitzt Brudencia und verkauft dort seit über 12 Jahren Kaffee. Jede Tag kommt sie hierher. Jeden Tag. Nicht weit entfernt sitzen weitere Marktfrauen. Man kennt sich. Man lebt hier. Mit einem netten Lächeln serviert sie mir ein Tasse.

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